Am 27.05.2021 besuchten Aktivist*innen von Mietenwahnsinn Nord die virtuelle Bezirksverordnetenversammlung Mitte (BVV), um den Abgeordneten ihre Fragen zum Leerstand in Wedding und Moabit zu stellen. Dabei konnten wir sowohl Fragen zu der behördlichen Arbeit bei der Beseitigung von Leerstand stellen, als auch nähere Informationen zu den von uns recherchierten leerstehenden Gebäuden in unserem Kiez erlangen.
So konnten wir uns vor allem ein Bild davon machen, wie gut (bzw. schlecht) der Bezirk Mitte bei der Beseitigung von Leerstand handelt. Theoretisch sollte es 4-5 Monate dauern, bis der Eigentümer einer leerstehenden Wohnung vom Bezirksamt den Bescheid mit der Anweisung zur Rückführung in Wohnraum, oder eine Leerstandsgenehmigung erhält. Im Realfall geht das Bezirksamt aber von einer Dauer von mindestens 9 Monaten und im Falle einer Klage der Eigentümer*innen, von bis zu 2 Jahren zwischen Meldung des Leerstands und Versenden des Bescheids aus! Grund dafür sei unter anderem die mangelnde personelle Besetzung im Bezirksamt für die Bearbeitung von gemeldetem Leerstand.
Für ein solches Verfahren ist eine Vor-Ort Prüfung durch Mitarbeitende des Bezirksamts notwendig. So sollen die Außendienstmitarbeiter*innen einen eigenen Eindruck von der Lage im Haus gewinnen und sind nicht auf die Berichte der Eigentümer*innen angewiesen. In der BVV mussten wir aber erfahren, dass es während der Covid-19-Pandemie kaum zu Vor-Ort Begehungen gekommen ist. Dies ist aus Sicht des Schutzes vor Infektionen nachvollziehbar – dennoch erkennen wir keinen ausreichenden Willen des Bezirks, gemeldete Objekte konsequent und eigenständig vor Ort auf Leerstand zu überprüfen. Gleichzeitig haben wir kein Verständnis dafür, warum Mieter*innen in einer Pandemie weiterhin zwangsgeräumt werden, während Vor-Ort Prüfungen von Leerstand ausgesetzt sind.
Wir fordern deshalb einerseits ein Ende aller Zwangsräumungen in unseren Kiezen und in ganz Berlin, vor allem während der aktuellen Pandemie und andererseits die konsequente Prüfung von Leerstand!
Machen auf Leerstand aufmerksam: Aktive von MietenwahnsinnNord
Ein entscheidender Schritt bei der Bekämpfung von Leerstand kann das Einsetzen eines*r Treuhänder*in durch den Bezirk sein. Diese*r entzieht dem Eigentümer die leerstehende Wohnung und gliedert sie wieder in das städtische Wohnungsnetz ein. In der BVV haben wir jedoch erfahren, dass dieses Mittel nur äußerst selten eingesetzt wird. Zum einen gibt es rechtliche Schlupflöcher, die den Einsatz von Treuhänder*innen aufwendig machen. Zum anderen fehlen dem Bezirk oftmals die finanziellen und personellen Mittel, um zu dieser Maßnahme zu greifen. Wir finden: es kann nicht sein, dass der Bezirk hier an der falschen Ecke spart und aufgrund rechtlicher Unsicherheiten vor der konsequenten Zurückführung von Leerstand in Wohnraum zurückschreckt! Wir fordern eine personelle Aufstockung im Bezirk für die Ermittlung und Beseitigung von Leerstand! Außerdem fordern wir eine rechtliche Novelle, die den Einsatz von Treuhänder*innen für Bezirksämter erleichtert!
Steht immer noch leer: die Stettiner Straße 38
Schon seit längerer Zeit ist uns das Haus in der Stettiner Straße 38 als Leerstand bekannt. In der BVV konnten wir weitere Erkenntnisse über die Umstände zu dem Leerstand gewinnen. Wie wir bereits wussten, liegt für das Haus eine Leerstandsgenehmigung vor. Grund dafür sei der angebliche Umbau und die Erweiterung des Bestandsgebäudes – vor Ort ist von Bauarbeiten nichts zu sehen. Wie lange die angeblichen Umbau-Maßnahmen schon andauern ist uns nicht klar. Das Gebäude ist jedoch bereits seit 2012 im Leerstandsmelder eingetragen und seit 2016 können wir den Leerstand aus eigener Hand bestätigen. Es scheint also, als wäre der seit knapp 10 Jahren gemeldete Leerstand zumindest zwischenzeitig mehrere Jahre lang rechtswidrig gewesen und nicht konsequent vom Bezirk verfolgt worden, so dass der Eigentümer unbehelligt davonkam.
Eine positive Nachricht aus der BVV-Sitzung war, dass im Falle von erteilten Leerstandsgenehmigungen, vierteljährlich Belege über den Baufortschritt beim Bezirk vorzulegen sind. Das halten wir für eine erste sinnvolle Maßnahme, um vorgetäuschten Begründungen für Leerstand zu begegnen. Um sicherzugehen, dass diese Bescheide tatsächlich eingereicht werden, bleiben wir weiter an diesem Fall dran. Und dennoch zeigt das Beispiel der Stettiner Straße 38, dass die Bedingungen für spekulativen Leerstand scheinbar günstig genug sind und die Eigentümer*innen die aktuellen Strafen und (nicht-)Verfolgungen von Leerstand nicht fürchten!
Eine Zusammenfassung der wichtigsten Antworten auf unsere Fragen an die BVV-Mitte könnt ihr euch hier durchlesen:
Fragenblock I
- Wie läuft das Prüfverfahren nach dem Zweckentfremdungsverbot ab, wenn zweckentfremdeter Wohnraum online gemeldet wird? Bitte möglichst konkret und mit Fristen (falls vorhanden) der einzelnen Schritte angeben.
- Ablauf Prüfverfahren nach Zweckentfremdungsverbotsgesetz:
- Zuständigkeitsprüfung
- Prüfung des Tatbestands
- Prüfung, ob bereits Verfahren vorliegt
- Prüfung, ob es sich um schützenswerten Wohnraum handelt
- Ortsbegehung
- Ermittlung Verfügungs-/Nutzungsberechtigte
- Anforderung von Unterlagen mit Fristsetzung
- Danach, je nach Einzelfall: Antragsbearbeitung, Rückführungsanordnung oder Ordnungswidrigkeitsverfahren
- Fristen
- In der Regel Frist von drei Wochen (flexibel) für Eigentümer*innen für Einreichen von notwendigen Unterlagen für mögliche Leerstandsgenehmigung nach Kontaktaufnahme durch BA
- Frist von einem Monat für Rückführung illegalen Leerstands in Wohnraum (flexibel, je nach evtl. notwendigen baulichen Maßnahmen)
- Sehr unterschiedliche Zeitspannen zwischen Meldung, Anhörung und Bescheid möglich
- Idealfall wäre:
- Meldung -> Bescheid an Berechtigte -> Forderung der Rückführung
- Optimal innerhalb von 4-5 Monaten
- Real-Fall
- Je nach Komplexität und Widerspruch 9 Monate oder länger
- Bei Klage: 21 Monate möglich
- Nicht zufriedenstellende personelle Situation verschärft die Problematik der Verfahrensdauer
- Welche konkreten Sachverhalte prüfen Außendienstmitarbeiter*innen bei der “Vor-Ort-Begehung” im Rahmen einer Zweckentfremdung, insbesondere Leerstand? Bitte listen Sie die zu prüfenden Punkte auf.
- Angekündigte oder unangekündigte Ortsbegehungen möglich
- Bearbeitung von Leerstand geschieht wohnungsbezogen, ebenso die Prüfung und Begehungen
- Bearbeitung von Zweckentfremdungsverfahren in der Regel schriftlich über Anhörungsverfahren
- Ortsbegehung und Besichtigung der Wohnung erfolgt lediglich in Einzelfällen
- Wie viele “vor Ort” Prüfungen hat das Bezirksamt, beziehungsweise deren Außendienstmitarbeiter*innen seit 2014 im Rahmen des Zweckentfremdungsverbots-Gesetz im Allgemeinen, und für Leerstand im Besonderen, vorgenommen? Antwort bitte aufgeschlüsselt nach Jahren.
- Keine Statistik über Vor-Ort Prüfungen
- Schätzungsweise 1200 Vor-Ort Prüfungen
- Pandemie-bedingte Einschränkungen der Vor-Ort Prüfungen
- Zweckentfremdungsverbotsgesetz wird im Bezirk nach gekipptem Mietendeckel als wichtiges Instrument gesehen
- Im Haushaltsplan wurde Mehrbedarf angemeldet, um Außendienst zu stärken
- Ehemaligen Mietendeckel-Mitarbeitenden sollen in Zweckentfremdungs-Bereich wechseln
Fragenblock II
- Was ist der Grund für die Erteilung der Ausnahmegenehmigung für Leerstand in der Stettiner Straße 38?
- Es wurde ein Antrag auf Leerstandsgenehmigung wegen Umbau und Erweiterung des Bestandsgebäudes gestellt
- Wie wurden die vom Eigentümer angegebenen Gründe für die Ausnahmegenehmigung überprüft?
- Antrag auf Leerstandsgenehmigung sind aussagekräftige Unterlagen beizufügen
- Von Architekt*in erstellte Zeitpläne für Modernisierungs- und Sanierungsarbeiten (Bauablaufpläne)
- Für Stettiner 38 lagen vor
- Bauantrag, Bauablaufplan, Entwurfsplanung
- Wie stellt das Bezirksamt sicher, dass der Leerstand nach Ablauf der Ausnahmegenehmigung nicht weiter verschleppt, sondern schnellstmöglich beendet wird?
- In alle Genehmigungsbescheide zu Leerstand wird Auflage aufgenommen, dass vierteljährlich Belege und Fotos über Baufortschritt vorzulegen sind
- Vor-Ort Prüfungen sind nicht geeignet, da bei Mitarbeitenden des Zweckentfremdungsbereichs technisches Wissen über Baumaßnahmen fehlt
- Verantwortung über Einschätzung über Notwendigkeit und Plausibilität der Maßnahmen liegt bei Bauaufsicht
Fragenblock III
- Wie hoch ist die Anzahl der rechtswidrig-zweckentfremdeten Wohnungen, die seit 2014 erfolgreich in Wohnraum zurückgeführt wurden?
- 704 Wohnungen wurden entweder mit oder ohne Zwangsmaßnahmen und Amtsverfahren in Wohn-Zwecke zurückgeführt
- Fälle mit beendetem Bestandsschutz und beendeten Genehmigungen kommen zusätzlich dazu
- Seit 2014: 3.000 Anträge im Zweckentfremdungsbereich
- davon 1.700 abgelehnt oder zurückgezogen
- Fast 7.000 Bürger*innen-Hinweise (inkl. Doppelungen)
- Über 1.700 Widersprüche gegen Grundverwaltungsakte
- In wie vielen Fällen illegal-zweckentfremdeter Wohnungen wurden seit 2014 Geldstrafen durch den Bezirk verhängt und in welcher Höhe?
- 62 Fälle von Bußgeldbescheiden
- Beträge zwischen 300 und 30.000€
- In wie vielen Fällen rechtswidrig-zweckentfremdeter Wohnungen wurde bisher die seit 2018 bestehende Möglichkeit genutzt, Treuhänder*innen zur Verwaltung des Leerstands einzusetzen?
- Einsatz von Treuhänder*innen gilt als letztes Mittel
- Kosten von Instandsetzung und treuhänderischer Regie müssten vorerst vom Bezirk übernommen werden, werden danach jedoch von Eigentümer*innen zurückgefordert
- Hohe rechtlich Anforderungen an Einsatz von Treuhänder*innen
- Unabwägbarkeiten und rechtliche Schlupflöcher verhindern Möglichkeit des Einsatzes von Treuhänder*innen
- Ebenfalls fehlen den Bezirken finanzielle Mittel für etwaige treuhänderisch-organisierte Instandhaltungen
- Novelle, bspw. Leitfaden für praktische Anwendung des Instruments und finanzielle Unterstützung der Bezirke durch Senat würden Einsatz des Instruments erleichtern