Mietenpolitischer Jahresrückblick: unsere Praxis 2024

Ein anstrengendes Jahr liegt hinter uns! Wir wollen den Jahreswechsel zum Anlass nehmen, einen Blick auf unsere aktuelle mietenpolitische Arbeit zu werfen. Im Wedding hat sich einiges getan, und wir sind nur selten dazu gekommen unsere Praxis zu dokumentieren. Mit diesem Text wollen wir diesen Mangel teilweise aufholen und von einigen der zahlreichen Prozesse berichten, an denen wir letztes Jahr beteiligt waren.

Seit mehreren Jahren organisieren wir Hausgemeinschaften im Kampf gegen Verdrängung, Aufwertung und Betrug bei den Nebenkosten. Gleichzeitig haben wir uns vom „Mobilizing-Ansatz“ verabschiedet und weniger Kundgebungen, Podiumsdiskussionen und andere „klassische politische Formate“ organisiert. Unser Konzept für diese Arbeit und einige grundlegende Überlegungen zu materiellen Mietenkämpfen findet ihr hier.

Unser Konzept ist dabei auch ein Ergebnis der sich verschlechternden rechtlichen Situation für Mieter*innen (ausgehöhltes Vorkaufsrecht, gekippter Mietendeckel…), des verschleppten Volksentscheids um die Enteignung von großen Immobilienkonzernen und einer schwachen bundesweiten Mietenbewegung. Unser Hauptanliegen ist aktuell, diese Bewegung von unten (wieder) aufzubauen. Dabei war uns von Anfang an klar, dass der Aufbau von aktiven und politischen Hausgemeinschaften ein langfristiger Prozess ist, der viel Geduld und konsistente Arbeit erfordert. Letztes Jahr hat sich diese Geduld bezahlt gemacht, und wir konnten gemeinsam mit den Hausgemeinschaften, mit denen wir arbeiten, zahlreiche Erfolge gegen die Zumutungen von Vermietern verbuchen.

Bespiel 1: Die Groninger Straße 3-5 und der Kampf gegen spreewater

Die Geschichte der Hausgemeinschaft der Groninger Straße begann mit dem gemeinsamen Kampf um das Vorkaufsrecht. Dieses war über Jahre eines der wenigen Instrumente, welches zumindest in Einzelfällen wirkungsvoll vor Verdrängung schützen konnte. Der neue Eigentümer „spreewater“ formulierte seine Aufwertungspläne überraschend offen:

Wir sind überzeugt, dass die Mieten – vor allem in beliebten Wohngegenden wie dem Leopoldkiez – weiter steigen werden und auch die Kaufpreise für Wohneigentum dem Aufwärtstrend folgen werden.“ – Frederik Seibert, spreewater

Hier wollen wir künftig durch die energetische Modernisierung des Gebäudes in Kombination mit einer Dachaufstockung hochwertigen, modernen Wohnraum anbieten.“  – Moritz Bruch, spreewater

Nachdem sich die Hausgemeinschaft vergeblich beim Bezirk für die Ausübung des Vorkaufsrechts einsetzte und der Kauf abgeschlossen war, begannen prompt die Verdrängungsversuche: einigen  Mieter*innen wurde (rechtswidrig) gekündigt, anderen wurde mit Kündigung gedroht. Außerdem engagierte spreewater einen Mann für „strukturierte Mietergespräche“: ein Euphemismus für „Mieterhöhungen erpressen“.

Angehörige der Hausgemeinschaft wurden dabei unangemeldet im Hausflur bedrängt und teilweise durch die Straßen verfolgt. Hier begann unsere Unterstützung: Wir standen den Mieter:innen bei den Gesprächen mit spreewaters Handlanger, der gleich viel zurückhaltender war, bei. Eine Reihe von illegalen Mieterhöhungen konnten wir so gemeinsam verhindern.

Gerade finden regelmäßige Hausversammlungen statt, die wir eng begleiten und nach Kräften unterstützen. Es ist zu befürchten, dass spreewater im kommenden Jahr mit umfangreichen Bauarbeiten die Anwohnenden zum Auszug treiben will, um die Wohnungen dann in Luxusapartments zu verwandeln.

Wir sagen: keinen Fußbreit den Investoren! spreewater hat sich mit der falschen Hausgemeinschaft angelegt, denn die Mieter*innen sind gut vernetzt und wir sind motiviert die Verdrängsungspläne von spreewater zu einem Fiasko zu machen.

Beispiel 2: Die Maxgärten und falsche Nebenkostenabrechnungen

Die Maxgärten sind ein Häuserkomplex oberhalb des Leopoldplatzes, der ca. 150 Wohnungen umfasst. Hier sind wir seit Ende 2022 aktiv, als viele der Mieter:innen mit extrem hohen Nebenkostennachzahlungen bis 3500€ konfrontiert waren. Im Jahr 2023 waren wir gut vorbereitet und legten mit vielen Mieter:innen Widerspruch gegen die Abrechnungen ein – und hatten Erfolg! Die Abrechnungen waren offensichtlich zu hoch. Alle Mieter*innen, die mit uns Widerspruch eingelegt hatten, konnten ihr Geld behalten. Insgesamt konnten  wir gut 50.000€ vor der Hausverwaltung retten. Seitdem bauen wir eine kämpferische Hausgemeinschaft auf und konnten im letzten Jahr weitere Erfolge feiern.

Die Probleme in den Maxgärten sind zahlreich: über Jahre hatte sich die von-Rüden-Hausverwaltung geweigert, notwendinge Instandhaltungen durchzuführen. Eine bröckelnde Fassade, kaputte Fenster, zahlreiche Wasserschäden und Schimmel in vielen Wohnungen waren die Folge. Einige der Mängel in den Wohnungen haben wir dann gemeinsam mit Bewohner:innen an die Bauaufsicht gemeldet, wodurch die Hausverwaltung zum Handeln und der Beseitigung der Mängel gezwungen werden konnte.

Wie die Groninger Straße wurden auch die Maxgärten 2023 an den nächsten Investor verkauft. Trotz der bekannten erheblichen Mängel wurde auch hier das Vorkaufsrecht durch den Bezirk nicht ausgeübt. Auch hier muss sich die Hausgemeinschaft also mit einem neuen Investor und der Angst vor Verdrängung auseinandersetzen.

Mit den aktiven Mieter:innen des Hauses haben wir daraufhin einen Aktiventreff aufgebaut und treffen uns regelmäßig, um eine Struktur zu etablieren, die gemeinsam auf neue Probleme mit dem Investor reagieren kann und Informationen ins Haus trägt. Dies hat sich dann im Herbst 2024 bezahlt gemacht, als erneut die Nebenkostenabrechnung mit viel zu hohen Nachzahlungsforderungen reinflatterten. Diesmal konnten wir noch einmal mehr Menschen als im Vorjahr motivieren, sich gemeinsam gegen die falschen Abrechnungen zur wehren. So konnten wir mehr als 60.000€ von der Hausverwaltung zurücholen. Im neuen Jahr werden wir uns im Aktiventreff mit dem neuen Vermieter auseinandersetzen und unter Anderem die umfangreichen Reparaturen, die seit Jahren überfällig sind, einfordern.

Aus den Maxgärten konnten wir zudem Menschen gewinnen, die auch außerhalb des eigenen Hauses für die Mieter:innen im Wedding aktiv werden wollen und ihre Erfahrungen und Wissen mittlerweile in Kämpfe in anderen Häusern einbringen.

Was haben wir gelernt?

Beide Beispiele zeigen uns, dass es trotz einer sich zuspitzenden Lage auf dem Berliner Wohnungsmarkt und eines steigenden Verdrängungsdrucks durch die Vermieter möglich ist, sich zu wehren und gemeinsam Erfolge zu erstreiten. Nachhaltigen Erfolg haben wir da, wo Mieter*innen sich als Hausgemeinschaft gemeinsam wehren und sich so gegenseitig vor Repressionen durch den Vermieter schützen. Eine wehrhafte Hausgemeinschaft ist das einzige wirkliche Mittel, um gegen Verdrängung in der Nachbarschaft vorzugehen und dafür zu sorgen, dass alle Menschen die in einem Haus wohnen, auch dort wohnen bleiben können. Auf das Wohlwollen der Bezirkspolitik sind wir in unserer Arbeit glücklicherweise nur noch selten angewiesen, sondern gehen direkt mit den Hausgemeinschaft in den Konflikt gegen den Vermieter/die Hausverwaltung. Unser politischer Alltag findet dabei weniger bei Kundgebungen auf der Straße, sondern in Wohnzimmern und Gemeinschaftsräumen statt.

Die Struktur von „Hände weg vom Wedding“ hat diese Entwicklungen in vielerlei Hinsicht unterstützt: unsere Stadtteilzentren „Interbüro“ und „Kiezhaus Agnes Reinhold“ sind unverzichtbare Räumlichkeiten, wo wir mit Nachbar*innen in Kontakt kommen und Hausversammlungen organisieren können. Die verbindliche Organisierung und der Austausch mit anderen Genoss:innen hat uns dabei geholfen, langfristig und verlässlich einen politischen Ansatz zu verfolgen, zu reflektieren und immer wieder anzupassen.

Was kommt 2025 auf uns zu?

Wir ziehen ein positives Resümee des letzten Jahres und werden weiter Hausgemeinschaften im Wedding gegen Verdrängung und überhöhte Nebenkosten organisieren. Unsere Arbeit in den letzten Jahren und die Erfolge des Jahres 2024 haben gezeigt, dass wir materielle Gewinnen mit denjenigen erzielen können, bei denen jeder Cent zählt. Damit das klappt, bilden wir uns gegenseitig weiter, holen neue Aktive in unsere Strukturen und diskutieren intensiv die Aufbauprozesse in unseren aktuellen Hausgemeinschaften.

Abseits von unseren Hausgemeinschaften des Weddings müssen wir uns mit den politischen Geschehnissen auf Landes- und Bundesebene auseinerandersetzen, die uns als Lohnabhängige stark betreffen.

Der Berliner Senat rund um Bürgermeister Kai Wegner hat den Rotstift gezückt und jede Menge sozialer, kultureller und pädagogischer Angebote weggekürzt und Gelder gestrichen. Dies bedroht die sozialen Strukturen und die kulturelle Vielfalt unserer Stadt und trifft jene am härtesten, die am wenigsten haben. Gleichzeitig wird auf Bundesebene die Militarisierung vorangetrieben und mit jeder Menge Geld aus den Kassen der Länder gefüttert.

Mit Blick auf die Bundestagswahl 2025 bedeutet das für uns, dass wir uns keinen Illusionen hingeben müssen, dass irgendeine neue Bundesregierung der Wohnungskrise etwas entgegensetzen wird. Stattdessen blicken wir mit Sorge dem Auslaufen der Mietpreisbremse entgegen und müssen mit einer weiteren Eskalation auf dem Berliner Wohnungsmarkt rechnen.

Auf diese Situation müssen wir vorbereitet sein. Dies können wir nur, wenn wir uns in unseren Häusern, Kiezen und in ganz Berlin zusammentun und unsere Frustration über die gegenwärtige Situation auf die Straße bringen. Das werden wir bei den Sozialprotesten vor der Bundestagswahl tun, bei der großen Mietenwahnsinnsdemo in Berlin Anfang Juni, sowie bei der jährlichen Demo von Hände Weg vom Wedding am 30.04.

Wir rufen also alle Mieter:innen im Wedding und in ganz Berlin dazu auf, es den Häusern in der Groninger Straße und den Maxgärten gleichzutun und sich gemeinsam zu organisieren. Informiert eure Nachbar:innen über Beschiss bei den Nebenkosten und überteuerte Mieterhöhungen, unterstützt euch gegenseitig und lasst niemanden allein im Konflikt mit Vermietern und Hausverwaltung.

Wenn ihr uns und unsere Arbeit kennenlernen wollt, kommt am 30.01.2025 um 19.00 ins Kiezhaus Agnes Reinhold zu unserem Neuentreffen und diskutiert mit uns gemeinsam darüber, was die Kürzungen des Senats für die Berliner Mieter:innen konkret bedeuten und wie wir als Mietenbewegung dagegen aktiv werden können.

Moabit: Leerstand & Protest in der Perleberger Straße 13

Noch ein Fall von umfassendem Leerstand in Moabit: in der Perleberger Straße 13 stehen seit Jahren Wohnungen leer. Politik und Bezirksamt reagieren zögerlich, der Leerstand hält bis heute an.

Ärgern sich über den anhaltenden Leerstand: Anwohnenden vor der Perleberger Straße 13

Eigentümer: Privatbesitz, Hausverwaltung: MeTeOr

Zustand des Gebäudes: Es besteht erheblicher Instandhaltungsstau. Nur die Straßenfassade wurde ca. 2010/11 neu gestrichen. In den Seitenflügeln gibt es mehrere leerstehende Wohnungen mit Ofenheizung. Dort müsste die Elektrik erneuert werden. Ein Heizungsraum (Fernwärme) wurde eingebaut, es ist aber unklar, wie viele Wohnungen angeschlossen sind. Als eine Wohnge­meinschaft im Vorderhaus vor einigen Jahren dem Zustand der Elektroleitungen monierte, wurde ihr gekündigt. Diese Wohnung wurde umfassend saniert und wieder vermietet.

Geschichte des Hauses: Bis in die 1980er Jahre wurden günstige Mietverträge geschlossen, bei denen Mieter*innen sich die Wohnung selbst herrichten konnten, z.B. Gasetagenheizun­gen einbauen. Damals verwaltete die Eigentümerin das Haus noch selbst. Ca. 2000 wurde die Hausverwaltung beauftragt, seitdem nehmen Instandhaltungsmängel und Leerstand zu. 2014 wurde der Leerstand von 12 Wohnungen (und einem Gewerbe) gemeldet. Seitdem hat sich wenig verändert. Aktuell stehen immer noch 10 Wohnungen leer.

Wie handelte das Bezirksamt?

Das Verfahren wurde erst 2015 eingeleitet, als der Bezirksbürgermeister sich eingeschaltet hatte. Im Dezember 2015 wurden Leerstandsgenehmigungen erteilt für neun leere Wohnungen zum Zweck der Sanierung bis Ende Oktober 2016. Erst im August 2017 wurde die Verlängerung der Leerstandsgenehmigungen beantragt, nachdem es im Juni 2017 eine BVV-Anfrage zum Leerstand in Moabit gab, die für dieses Haus mit „Genehmigung wegen Sanierung“ beantwortet wurde, obwohl zu diesem Zeitpunkt schon monatelang keine Genehmigung mehr vorlag. Die genauen Verfahrensschritte und die betroffenen Wohnungen kamen erst durch eine BVV-Anfrage im Februar 2020 ans Licht. Die Verlängerungsanträge wurden fast zwei Jahre nach den Anträgen, im Juni 2019, genehmigt mit Frist bis Dezember 2020. Erst 3 Monate nach Fristablauf gilt der Leerstand wieder als Leerstand. Eine weitere BVV-Anfrage ergab, dass am 7.4.2021 Verlängerungsanträge gestellt wurden und die Unterlagen noch geprüft werden. Neu ist, dass der Baufortschritt jetzt mit Rechnungen oder Fotos belegt werden soll.

Aktionen vor Ort: 2014 Bericht über den Leerstand im Rahmen des Kiezspaziergangs des Runden Tischs gegen Gentrifizierung Moabit / Wem gehört Moabit (WgM) im Stephankiez, Presseberichterstattung. 2020: Informationen an die Nachbar*innen und Kundgebung vor dem Haus mit Transparenten am 13.8.2020 (s. Bericht WgM).

Zusammenfassend: Sehr schleppende Verfahren. Eigentümer können leicht Modernisierungen behaupten, die dann nicht durchgeführt werden, und dadurch Verlängerungen der Leerstandgenehmigungen erhalten. Anfragen der BVV müssen sehr genau gestellt werden, damit es Auskunft gibt. 2021 wurde erstmals von der Abt. Zweckentfremdung die Vorlage von Rechnungen oder Fotos quartalsweise verlangt.
Sinnvoll wäre es die Rückführung von Wohnraum auch mit Selbstausbau von Mieter*innen im Gegenzug für günstige Mieten zu ermöglichen.

 

Quellen:

https://wem-gehoert-moabit.de/2020/08-kundgebung-gegen-leerstand-perleberger-strasse-13/

https://moabit.crowdmap.com/reports/view/88

Moabit: Anhaltender Leerstand in der Paulstraße 23

Natürlich gibt es nicht nur im Wedding eine Menge leerstehender Häuser, sondern auch in Moabit. Hier ist die Gruppe Wem gehört Moabit sehr aktiv und verfolgt das Geschehen seit Jahren. Ein Fall ist die Paulstraße 23: hier zeigt sich wieder ein typischer Fall von spekulativem Leerstand.

Schickes Foto – die Realität sieht baufällig aus.

Zur Geschichte des Hauses: Baujahr 1918, wechselte seit 2007 mehrfach der Eigentümer. Letzter bekannter Eigentümer (seit 2015) war Calvin Palais. 2018 wurde das Gebäude in Einzelwohnungen aufgeteilt. Inzwischen sind viele Einzelwohnungen an Privateingentümer*innen verkauft, andere stehen seit Jahren leer. Zeitweise standen von 24 Wohnungen 15 leer.

Aktuelle Lage: neben einzelnen leerstehenden Wohnungen steht auch die Gewerbeeinheit im Erdgeschoss seit Jahren leer, auch die große Dachgeschosswohnung ist seit Jahren leer (dazu läuft angeblich ein Verfahren wg. Zweckentfremdung). Undurchsichtige Eigentumsverhältnisse erschweren weitere Schritte zur Beendung des Leerstands. Während einige Wohnungen renoviert sind, sind einige auch in einem verfallenen Zustand, was sich auch am Zustand der Fassade zeigt.

Wie handelte der Bezirk: nach mehreren Anfragen (über mehrere Jahre) gab es scheinbar Vor-Ort-Besuche von Mitarbeitenden des Bezirksamts, Konsequenzen für die Eigentümer*innen gab es aber anscheinend nicht.

 

Quellen:

https://moabit.crowdmap.com/reports/view/551

https://www.berlin.de/ba-mitte/politik-und-verwaltung/bezirksverordnetenversammlung/online/ka020.asp?KALFDNR=3224

https://www.berlin.de/ba-mitte/politik-und-verwaltung/bezirksverordnetenversammlung/online/ka020.asp?KALFDNR=3348

 

 

Personalmangel und fehlender Wille – Fragen an den Bezirk Mitte zur Bekämpfung von Leerstand

Am 27.05.2021 besuchten Aktivist*innen von Mietenwahnsinn Nord die virtuelle Bezirksverordnetenversammlung Mitte (BVV), um den Abgeordneten ihre Fragen zum Leerstand in Wedding und Moabit zu stellen. Dabei konnten wir sowohl Fragen zu der behördlichen Arbeit bei der Beseitigung von Leerstand stellen, als auch nähere Informationen zu den von uns recherchierten leerstehenden Gebäuden in unserem Kiez erlangen. 
 
So konnten wir uns vor allem ein Bild davon machen, wie gut (bzw. schlecht) der Bezirk Mitte bei der Beseitigung von Leerstand handelt. Theoretisch sollte es 4-5 Monate dauern, bis der Eigentümer einer leerstehenden Wohnung vom Bezirksamt den Bescheid mit der Anweisung zur Rückführung in Wohnraum, oder eine Leerstandsgenehmigung erhält. Im Realfall geht das Bezirksamt aber von einer Dauer von mindestens 9 Monaten und im Falle einer Klage der Eigentümer*innen, von bis zu 2 Jahren zwischen Meldung des Leerstands und Versenden des Bescheids aus! Grund dafür sei unter anderem die mangelnde personelle Besetzung im Bezirksamt für die Bearbeitung von gemeldetem Leerstand.
Für ein solches Verfahren ist eine Vor-Ort Prüfung durch Mitarbeitende des Bezirksamts notwendig. So sollen die Außendienstmitarbeiter*innen einen eigenen Eindruck von der Lage im Haus gewinnen und sind nicht auf die Berichte der Eigentümer*innen angewiesen. In der BVV mussten wir aber erfahren, dass es während der Covid-19-Pandemie kaum zu Vor-Ort Begehungen gekommen ist. Dies ist aus Sicht des Schutzes vor Infektionen nachvollziehbar – dennoch erkennen wir keinen ausreichenden Willen des Bezirks, gemeldete Objekte konsequent und eigenständig vor Ort auf Leerstand zu überprüfen. Gleichzeitig haben wir kein Verständnis dafür, warum Mieter*innen in einer Pandemie weiterhin zwangsgeräumt werden, während Vor-Ort Prüfungen von Leerstand ausgesetzt sind.
Wir fordern deshalb einerseits ein Ende aller Zwangsräumungen in unseren Kiezen und in ganz Berlin, vor allem während der aktuellen Pandemie und andererseits die konsequente Prüfung von Leerstand!
Machen auf Leerstand aufmerksam: Aktive von MietenwahnsinnNord
Ein entscheidender Schritt bei der Bekämpfung von Leerstand kann das Einsetzen eines*r Treuhänder*in durch den Bezirk sein. Diese*r entzieht dem Eigentümer die leerstehende Wohnung und gliedert sie wieder in das städtische Wohnungsnetz ein. In der BVV haben wir jedoch erfahren, dass dieses Mittel nur äußerst selten eingesetzt wird. Zum einen gibt es rechtliche Schlupflöcher, die den Einsatz von Treuhänder*innen aufwendig machen. Zum anderen fehlen dem Bezirk oftmals die finanziellen und personellen Mittel, um zu dieser Maßnahme zu greifen. Wir finden: es kann nicht sein, dass der Bezirk hier an der falschen Ecke spart und aufgrund rechtlicher Unsicherheiten vor der konsequenten Zurückführung von Leerstand in Wohnraum zurückschreckt! Wir fordern eine personelle Aufstockung im Bezirk für die Ermittlung und Beseitigung von Leerstand! Außerdem fordern wir eine rechtliche Novelle, die den Einsatz von Treuhänder*innen für Bezirksämter erleichtert!
Steht immer noch leer: die Stettiner Straße 38
 
Schon seit längerer Zeit ist uns das Haus in der Stettiner Straße 38 als Leerstand bekannt. In der BVV konnten wir weitere Erkenntnisse über die Umstände zu dem Leerstand gewinnen. Wie wir bereits wussten, liegt für das Haus eine Leerstandsgenehmigung vor. Grund dafür sei der angebliche Umbau und die Erweiterung des Bestandsgebäudes – vor Ort ist von Bauarbeiten nichts zu sehen. Wie lange die angeblichen Umbau-Maßnahmen schon andauern ist uns nicht klar. Das Gebäude ist jedoch bereits seit 2012 im Leerstandsmelder eingetragen und seit 2016 können wir den Leerstand aus eigener Hand bestätigen. Es scheint also, als wäre der seit knapp 10 Jahren gemeldete Leerstand zumindest zwischenzeitig mehrere Jahre lang rechtswidrig gewesen und nicht konsequent vom Bezirk verfolgt worden, so dass der Eigentümer unbehelligt davonkam
Eine positive Nachricht aus der BVV-Sitzung war, dass im Falle von erteilten Leerstandsgenehmigungen, vierteljährlich Belege über den Baufortschritt beim Bezirk vorzulegen sind.  Das halten wir für eine erste sinnvolle Maßnahme, um vorgetäuschten Begründungen für Leerstand zu begegnen. Um sicherzugehen, dass diese Bescheide tatsächlich eingereicht werden, bleiben wir weiter an diesem Fall dran. Und dennoch zeigt das Beispiel der Stettiner Straße 38, dass die Bedingungen für spekulativen Leerstand scheinbar günstig genug sind und die Eigentümer*innen die aktuellen Strafen und (nicht-)Verfolgungen von Leerstand nicht fürchten!

Eine Zusammenfassung der wichtigsten Antworten auf unsere Fragen an die BVV-Mitte könnt ihr euch hier durchlesen:

Fragenblock I

  1. Wie läuft das Prüfverfahren nach dem Zweckentfremdungsverbot ab, wenn zweckentfremdeter Wohnraum online gemeldet wird? Bitte möglichst konkret und mit Fristen (falls vorhanden) der einzelnen Schritte angeben.
  • Ablauf Prüfverfahren nach Zweckentfremdungsverbotsgesetz:
    • Zuständigkeitsprüfung
    • Prüfung des Tatbestands
    • Prüfung, ob bereits Verfahren vorliegt
    • Prüfung, ob es sich um schützenswerten Wohnraum handelt
    • Ortsbegehung
    • Ermittlung Verfügungs-/Nutzungsberechtigte
    • Anforderung von Unterlagen mit Fristsetzung
    • Danach, je nach Einzelfall: Antragsbearbeitung, Rückführungsanordnung oder Ordnungswidrigkeitsverfahren
  • Fristen
    • In der Regel Frist von drei Wochen (flexibel) für Eigentümer*innen für Einreichen von notwendigen Unterlagen für mögliche Leerstandsgenehmigung nach Kontaktaufnahme durch BA
    • Frist von einem Monat für Rückführung illegalen Leerstands in Wohnraum (flexibel, je nach evtl. notwendigen baulichen Maßnahmen)
  • Sehr unterschiedliche Zeitspannen zwischen Meldung, Anhörung und Bescheid möglich
  • Idealfall wäre:
    • Meldung -> Bescheid an Berechtigte -> Forderung der Rückführung
    • Optimal innerhalb von 4-5 Monaten
  • Real-Fall
    • Je nach Komplexität und Widerspruch 9 Monate oder länger
    • Bei Klage: 21 Monate möglich
  • Nicht zufriedenstellende personelle Situation verschärft die Problematik der Verfahrensdauer
  1. Welche konkreten Sachverhalte prüfen Außendienstmitarbeiter*innen bei der “Vor-Ort-Begehung” im Rahmen einer Zweckentfremdung, insbesondere Leerstand? Bitte listen Sie die zu prüfenden Punkte auf.
  • Angekündigte oder unangekündigte Ortsbegehungen möglich
  • Bearbeitung von Leerstand geschieht wohnungsbezogen, ebenso die Prüfung und Begehungen
  • Bearbeitung von Zweckentfremdungsverfahren in der Regel schriftlich über Anhörungsverfahren
  • Ortsbegehung und Besichtigung der Wohnung erfolgt lediglich in Einzelfällen
  1. Wie viele “vor Ort” Prüfungen hat das Bezirksamt, beziehungsweise deren Außendienstmitarbeiter*innen seit 2014 im Rahmen des Zweckentfremdungsverbots-Gesetz im Allgemeinen, und für Leerstand im Besonderen, vorgenommen? Antwort bitte aufgeschlüsselt nach Jahren.
  • Keine Statistik über Vor-Ort Prüfungen
  • Schätzungsweise 1200 Vor-Ort Prüfungen
  • Pandemie-bedingte Einschränkungen der Vor-Ort Prüfungen
  • Zweckentfremdungsverbotsgesetz wird im Bezirk nach gekipptem Mietendeckel als wichtiges Instrument gesehen
  • Im Haushaltsplan wurde Mehrbedarf angemeldet, um Außendienst zu stärken
  • Ehemaligen Mietendeckel-Mitarbeitenden sollen in Zweckentfremdungs-Bereich wechseln

Fragenblock II

  1. Was ist der Grund für die Erteilung der Ausnahmegenehmigung für Leerstand in der Stettiner Straße 38?
  • Es wurde ein Antrag auf Leerstandsgenehmigung wegen Umbau und Erweiterung des Bestandsgebäudes gestellt
  1. Wie wurden die vom Eigentümer angegebenen Gründe für die Ausnahmegenehmigung überprüft?
  • Antrag auf Leerstandsgenehmigung sind aussagekräftige Unterlagen beizufügen
    • Von Architekt*in erstellte Zeitpläne für Modernisierungs- und Sanierungsarbeiten (Bauablaufpläne)
  • Für Stettiner 38 lagen vor
    • Bauantrag, Bauablaufplan, Entwurfsplanung
  1. Wie stellt das Bezirksamt sicher, dass der Leerstand nach Ablauf der Ausnahmegenehmigung nicht weiter verschleppt, sondern schnellstmöglich beendet wird?
  • In alle Genehmigungsbescheide zu Leerstand wird Auflage aufgenommen, dass vierteljährlich Belege und Fotos über Baufortschritt vorzulegen sind
  • Vor-Ort Prüfungen sind nicht geeignet, da bei Mitarbeitenden des Zweckentfremdungsbereichs technisches Wissen über Baumaßnahmen fehlt
  • Verantwortung über Einschätzung über Notwendigkeit und Plausibilität der Maßnahmen liegt bei Bauaufsicht

Fragenblock III

  1. Wie hoch ist die Anzahl der rechtswidrig-zweckentfremdeten Wohnungen, die seit 2014 erfolgreich in Wohnraum zurückgeführt wurden?
  • 704 Wohnungen wurden entweder mit oder ohne Zwangsmaßnahmen und Amtsverfahren in Wohn-Zwecke zurückgeführt
  • Fälle mit beendetem Bestandsschutz und beendeten Genehmigungen kommen zusätzlich dazu
  • Seit 2014: 3.000 Anträge im Zweckentfremdungsbereich
    • davon 1.700 abgelehnt oder zurückgezogen
  • Fast 7.000 Bürger*innen-Hinweise (inkl. Doppelungen)
  • Über 1.700 Widersprüche gegen Grundverwaltungsakte
  1. In wie vielen Fällen illegal-zweckentfremdeter Wohnungen wurden seit 2014 Geldstrafen durch den Bezirk verhängt und in welcher Höhe?
  • 62 Fälle von Bußgeldbescheiden
    • Beträge zwischen 300 und 30.000€
  1. In wie vielen Fällen rechtswidrig-zweckentfremdeter Wohnungen wurde bisher die seit 2018 bestehende Möglichkeit genutzt, Treuhänder*innen zur Verwaltung des Leerstands einzusetzen?
  • Einsatz von Treuhänder*innen gilt als letztes Mittel
  • Kosten von Instandsetzung und treuhänderischer Regie müssten vorerst vom Bezirk übernommen werden, werden danach jedoch von Eigentümer*innen zurückgefordert
  • Hohe rechtlich Anforderungen an Einsatz von Treuhänder*innen
  • Unabwägbarkeiten und rechtliche Schlupflöcher verhindern Möglichkeit des Einsatzes von Treuhänder*innen
  • Ebenfalls fehlen den Bezirken finanzielle Mittel für etwaige treuhänderisch-organisierte Instandhaltungen
  • Novelle, bspw. Leitfaden für praktische Anwendung des Instruments und finanzielle Unterstützung der Bezirke durch Senat würden Einsatz des Instruments erleichtern

Na also, geht doch: Zum Leerstand in der Osloer Straße 116

Durch die Recherche der Initiative Mietenwahnsinn Nord, die durch einen Bericht des rbb mehr Reichweite bekam, wurden das ruhende Amtsermittlungsverfahren gegen Leerstand in der Osloer Str. 116a wieder aufgenommen. 
Die Anwohnenden Kiez haben einige Ideen, was mit den leerstehenden Haus passieren könnte!
Wie eine Anfrage von Sonja Kreitmayr (SPD) an die BVV Mitte ergab, war ein Amtsermittlungsverfahren 2018, im Sande verlaufen, weil die Einsicht in die Bauakten durch eine Schimmelkontaminierung nicht stattfinden konnte. Erst die Recherche der Initiative Mietenwahnsinn Nord und die öffentliche Aufmerksamkeit durch den rbb-Bericht brachten wieder Schwung in das Verfahren. Die Anfrage an die BVV hat den Bezirk wachgerüttelt und die Wiederaufnahme des Verfahrens erreicht. 
Derartige Verschleppungen entschuldigt der Bezirk mit dem andauernden Personalmangel im Bereich Zweckentfremdung und der Pandemie, die Ermittlungen vor Ort unmöglich mache. Diese Trägheit kommt Eigentümern zu Gute, die ihre Gebäude jahrzehntelang leerstehen lassen. Die GCH Hotel Group, Eigentümerin der Osloer Str. 116a lässt auch ein zweites Gebäude in der Stettiner Str. 38 bereits seit Jahren leerstehen. Dieser Leerstand wird seit 2018 wegen Sanierungsabsichten bis aktuell zum 30.09.2021 genehmigt. An dem Gebäude sind seit Jahren keinerlei Bauarbeiten zu sehen, dennoch geht der Bezirk davon aus, “dass nach Vorliegen aller baurechtlichen Voraussetzungen mit der Sanierung begonnen werden wird”.  Optimismus, der nach mindestens 8 Jahren Leerstand übertrieben scheint. 
Es zeigt sich deutlich, dass der Bezirk Mitte Leerstand nur unzureichend verfolgt und es Eigentümern allzu leicht macht, mit Vertröstungen und Verschleppungstaktiken, dringend gebrauchten Wohnraum illegal leerstehen zu lassen. Damit  leistet der Bezirk der Spekulation mit Wohnraum Vorschub und lässt die Bürgerinnen und Bürger in Mitte im Stich. 
Aktive von Mietenwahnsinn-Nord mit ihrem Stand im Bellermannkiez
Dabei haben die Anwohnerinnen und Anwohner durchaus Ideen wie die Gebäude in ihrem Kiez sinnvoll genutzt werden könnten. In Gesprächen die das Mietenwahnsinn Nord Bündnis vor Ort führte, wurden neben bezahlbarem Wohnraum auch Ideen wie Mehrgenerationen-Wohn-Projekte, ein Jugendraum oder ein Ort für Sprachkurse genannt. Höchste Zeit also, diese Bedürfnisse wahrzuneh und in die Tat um zu setzen!